„Seit ein paar Wochen höre ich abends ein Piepen – kann das vom Job kommen?“ Mit dieser scheinbar harmlosen Frage beginnen oft Gespräche, die weit über das Gehör hinausführen. Im Rahmen der betriebsärztlichen Betreuung spreche ich regelmäßig mit Mitarbeitenden, die sich über lange Zeit an eine laute Umgebung gewöhnt haben – ohne zu merken, wie sehr sie sie tatsächlich belastet. Manche beschreiben Konzentrationsschwierigkeiten, eine innere Unruhe oder das Gefühl, nach Feierabend nicht richtig herunterzukommen. Lärm ist selten spektakulär. Er ist da, Tag für Tag, und genau deshalb wirkt er.
Lärm muss nicht dröhnen, um gesundheitlich relevant zu sein. Auch Pegel unterhalb gängiger Auslösewerte können das Nervensystem deutlich beanspruchen – besonders, wenn sie dauerhaft anliegen oder als störend empfunden werden. In vielen Betrieben ist es die Summe der Quellen, die den Unterschied macht: Baustellenlärm von außen, lebhafte Pausenräume, das anhaltende Summen von Lüftungen, Gabelstaplerverkehr, mehrere Maschinen, die zeitgleich laufen. Diese Kulisse begleitet den Arbeitsalltag wie ein Hintergrundteppich. Sie ist nicht „gefährlich“ im klassischen Sinn, aber zermürbend, wenn Erholungspausen fehlen.
Ich erinnere mich an ein Gespräch mit einem Mitarbeitenden aus der Instandhaltung. Ein erfahrener, gewissenhafter Mensch, selten krank, mochte seine Arbeit. Gleichzeitig fühlte er sich zunehmend ausgelaugt: gereizt nach Feierabend, Schwierigkeiten beim Abschalten, unruhiger Schlaf. Offiziell galt seine Halle als unauffällig. Erst die Gefährdungsbeurteilung mit Lärmmessungen zeigte, was sein Körper schon meldete: Die Pegel lagen zwar unterhalb der üblichen Auslösewerte, die Summe verschiedener Quellen war jedoch dauerhaft spürbar – mit Folgen für Wohlbefinden und Leistungsfähigkeit.
In der Arbeitsmedizin wissen wir: Lärm betrifft mehr als nur das Gehör. Chronische Belastung erhöht die Ausschüttung von Stresshormonen, stört den Schlaf, mindert die Konzentration und kann das Unfallrisiko erhöhen, weil Aufmerksamkeit und Reaktionsfähigkeit nachlassen. Viele Menschen merken das erst, wenn Erschöpfung, innere Unruhe oder Reizbarkeit zur Gewohnheit werden. Deshalb genügt es nicht, nur auf Dezibel zu schauen. Entscheidend ist auch die subjektive Perspektive – die der Menschen, die täglich dort arbeiten.
Wie gehe ich in der betriebsärztlichen Betreuung vor? Ich beginne selten mit Zahlen, sondern mit Eindrücken. Wo wird es als anstrengend erlebt? Wann im Schichtverlauf häufen sich die lauten Phasen? Welche Tätigkeiten verlangen gleichzeitig Präzision und Kommunikation, während die Geräuschkulisse hoch ist? Erst danach plane ich Messungen so, dass sie den echten Alltag abbilden – typische Taktzeiten, Maschinenanläufe, Transportwege und auch Störlärm wie temporäre Baumaßnahmen. Messwerte sind wichtig, aber sie erklären nicht alles. Darum übersetze ich Ergebnisse in verständliche Handlungsoptionen und gleiche sie mit dem Erleben der Mitarbeitenden ab. Auch das gehört zur Vorsorge: zuhören, einordnen, gemeinsam priorisieren.
Aus diesen Befunden entstehen pragmatische Schritte. Manchmal reicht es, lärmintensive Tätigkeiten zu bündeln und anschließend echte Erholung zu ermöglichen. Häufig hilft eine akustische Abschirmung einzelner Quellen oder eine andere Positionierung von Lüftungssystemen. Ein weiterer Hebel ist passender Gehörschutz. Viele Menschen tragen ihn, aber nicht immer passt er zur Aufgabe. Für Kommunikation braucht es andere Lösungen als für dauerhaftes Maschinengeräusch. Individuell angepasster Schutz oder unterschiedliche Modelle für verschiedene Tätigkeiten erhöhen die Akzeptanz – und werden deshalb verlässlicher getragen. Erst dann entfalten sie ihre Wirkung.
Wirksam wird all das in der Zusammenarbeit. Ich beziehe Fachkräfte für Arbeitssicherheit, Führungskräfte und den Personalbereich ein, weil jede Perspektive ein Stück Realität sichtbar macht. In einem Fertigungsbereich wurde der Geräuschteppich lange als „normal“ hingenommen. Nach Gesprächen und Messungen haben wir drei Dinge umgesetzt: das laute Gebläse akustisch entschärft, Pausenräume hörbar ruhiger gestaltet und den Gehörschutz auf die Tätigkeiten abgestimmt. Schon nach wenigen Wochen berichteten Mitarbeitende, dass das abendliche „Piepen“ seltener wurde, Schichtwechsel ruhiger abliefen und Fokusarbeiten leichter fielen. Es waren keine großen Umbauten – es war das Zusammenspiel aus Hinhören, Messen und passender Maßnahme.
Gesundheitsschutz bedeutet für mich Vertrauen statt Kontrolle. In meinen Gesprächen geht es nicht um Überprüfung, sondern ums Zuhören, Orientieren und das gemeinsame Reduzieren von Belastungen. Gerade beim Thema Lärm braucht es diese Offenheit, weil Beschwerden oft lange zurückgehalten werden – aus Gewohnheit oder aus Sorge, „anzuecken“. Wenn Unternehmen deutlich machen: Wir hören hin, auch bei den leisen Signalen, entsteht eine Kultur, die trägt. Dazu gehört, Beschwerden ernst zu nehmen, bevor sie chronisch werden, und Hinweise aus der Belegschaft aktiv aufzugreifen.
Häufig werde ich gefragt, woran man Handlungsbedarf erkennt, obwohl Messwerte unauffällig wirken. Mein Rat: Achten Sie auf das Erleben. Wenn Gespräche anstrengend werden, die Konzentration abnimmt oder sich ein Dauersummen in den Feierabend zieht, ist das ein Signal. Subjektive Belastung zählt – wir Betriebsärzte nehmen dieses ernst und beraten diesbezüglich.
Wichtig ist mir, dass Lärm nicht als notwendiges Übel abgehakt wird. Er ist eine Aufgabe, die sich mit Engagement, Achtsamkeit und professioneller Begleitung gut bewältigen lässt. Niemand erwartet völlige Stille in Produktion, Logistik oder Werkstatt. Entscheidend ist, den eigenen Betrieb zu kennen: Wo entstehen die lauten Momente? Wo fehlt Erholung? Wo kann Technik helfen, wo Organisation, wo persönliche Schutzausrüstung? Wenn diese Fragen offen diskutiert werden, wird Lärmschutz vom Pflichtpunkt zur gelebten Praxis.
Am Ende steht mehr als ein paar Dezibel weniger. Es geht um Arbeitsqualität, um erholsame Pausen, um sichere Kommunikation, um das Gefühl, ernst genommen zu werden. ModerneArbeitsmedizin schafft genau das: Sie baut Vertrauen auf, reduziert Ausfälle und stabilisiert den Betrieb langfristig – nicht durch Belehrung, sondern durch Begleitung.
Wenn Sie wissen möchten, wie Gany.MED Sie bei der Erkennung und Reduktion von Lärmbelastung unterstützen kann – melden Sie sich gerne bei uns. Wir hören zu, bevor es zu laut wird.